Alles andere als ein gewöhnliches Kochbuch
Man gestatte mir, was im Rahmen einer Rezension sicherlich nicht die Regel ist, mit einer Bewertung zu beginnen, die ich der Homepage des Restaurants Horvath, in dem Sebastian Frank sowohl als Patron als auch als Koch tätig ist, entnommen habe. Diese nimmt eigentlich schon Vieles was nachfolgt vorweg, bzw. erleichtert den Einstieg in die Küchenphilosophie von Sebastian Frank. Zitate: „Ein lukullisches Erlebnis, eine Gaumenfreude! Sellerie in Salzteig, drei Monate gereift ..., mit neutralem Quellwasser vom Hochschwang..., Apfelmarmelade mit Johannisbeeren, gefrorener Wasserkefir mit Keimlingen, kandierte Zitronenzesten u.v.m.“ Da muss man erst mal drauf kommen. Wahrscheinlich kocht in der Küche ein Team von Zauberern und Feen. Vielen Dank für den wunderbaren Abend!“
Um es vorneweg zu sagen: Wer ein Kochbuch möchte um einfache Rezepte zum Nachkochen vorzufinden, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Es erfordert nicht nur hohe Sachkenntnis im Bezug Kochkunst, sondern auch die Anschaffung verschiedener Dinge und Zutaten die den gewöhnlichen Rahmen sprengen dürften. Sebastian Frank versucht in vorliegendem Buch, schriftlich zu fixieren, was er in der Realität auf den Tisch zaubert.
Der Macher
Wie viele Köche der Spitzenklasse stammt auch Sebastian Frank aus Österreich. Die Liebe ist schuld daran, dass der gebürtige Mödlinger der Alpenrepublik den Rücken kehrte und seiner Lebensgefährtin Jeannine Kessler in deren Heimat Berlin folgte. Gemeinsam verwirklichten sie in Kreuzberg ihren Traum von einem eigenen Restaurant und das mit großem Erfolg. Das "Horváth" überzeugt selbst verwöhnte Feinschmecker mit einer sehr ausdrucksstarken, kreativen Küche.
Frank hat eine neue Art der Kochkunst kreiert, mit unverkennbar eigener Handschrift. Sein unkonventioneller Umgang mit den Produkten, seine einzigartigen Kombinationen von Aromen und seine gewagten Zusammenstellungen sind in jeder Hinsicht so interessant wie wagemutig. Dies bezeugt dieses 240 Seiten starke Buch. Bevor ich auf Aufmachung und Gestaltung eingehe, ein paar Worte über die Philosophie, die hinter dem Ganzen steckt.
Emanzipatorische Küche
Ein Produkt ist für Frank genauso wichtig wie das andere. Ob Gemüse, Fleisch, Fisch, alle sind gleichberechtigte Akteure auf dem Teller, nur schlüpfen sie oft in unterschiedliche Rollen. Sie können Gewürz sein, Konsistenzgeber, Aromaträger oder Hauptdarsteller. Frank bezeichnet dies selbst als emanzipatorische Küche. Jedes Produkt hat seine eigene Wichtigkeit. So verschwimmen unbewusst Unterscheidungen von einfachen zu luxuriösen Produkten. Ich möchte es eigentlich als eher archaisch beschreiben. Zurück zu den Wurzeln. Zu der Zeit als man ohne Schnick-Schnack gezwungen war aus dem was man hatte, das Beste zu machen. D.H. sich auf‘s Saisonale und Regionale beschränken, wobei beschränken nicht zwanghaft Verzicht heißen muss, sondern eher als eine Herausforderung zu sehen ist.
Keine „Babyananas“, keine Chilischote, kein argentinisches Rindfleisch, dafür Brombeere, Sellerie und Brandenburgische Rehkeule. Kein Olivenöl. Dafür hochwertige Pflanzenöle wie Senföl, Leindotteröl oder Kürbiskernöl oder auch einfaches Schmalz.
Weg von der gängigen oft angelernten Exotik hin zu bodenständiger Qualität und puristischem Hochgenuss. Auf die Frage, warum er dieses „Kochbuch“ geschrieben hat, bringt es Frank auf den Punkt: „…die eigene Philosophie herauszudestillieren und künftig noch pointierter und konzentrierter zu arbeiten“. Kochen nach Rezepten ist für Frank ein Greuel: „Pi mal Daumen durch drei, dann gelingt´s“. Deshalb orientieren sich die Angaben in diesem Buch auch an der optimalen Verarbeitungsmenge bezogen auf jedes Einzelrezept.
Tolle Bilder von Rene Riis
Bevor es an die eigentlichen „Rezepte“ geht sollten die wunderbaren, Fotografien von Rene Riis mehr als eine lobende Erwähnung finden. Sie sind eine Augenweide (das Auge isst bekanntlich immer mit) und ein wesentlicher Teil des Buches.
Produkte und Rezepte
Nun aber zum „Eingemachten“: Auf 200 Seiten werden Produkte und Rezepte vorgestellt. Wobei das Wort Rezept bei Sebastian Frank eine ganz eigene Bedeutung bekommt. Ich würde es eher mit Thematik beschreiben wollen. Eingeteilt in 10 Rubriken tauchen dort Themen auf wie “Tierisches Fett“, „Magics“, „Vergorenes, Fermentiertes und Asche“ oder aber auch „Fleisch und Blut“. Man sollte sich aber trotz der eigenwilligen Einteilung nicht vom Durchlesen abhalten lassen. Interessantes und teilweise Spektakuläres, bzw. Nichtalltägliches verbirgt sich hinter den Begriffen.
Knollensellerie als Herausforderung
Beispielhaft für das „Außergewöhnliche“ von Sebastian Franks Küche und seine „Experimentierfreudigkeit“ möchte ich auf dieses Produkt etwas näher eingehen. In der Regel benutzt man Sellerie zum Ansetzen von Brühen, Fonds, Suppen, oder aber als Püree oder Salat. Aber Sellerie reifen oder verkohlen lassen, entsaften, vergären oder in Fett ziehen lassen mutet eher etwas seltsam an. 80% aller Gerichte im Horvath beinhalten, laut Aussage Franks, Sellerie in irgendeiner Form. Durch den verschiedenartigen, intensiven Umgang mit diesem Knollengemüse entlockt Frank selbigem die unterschiedlichsten Geschmacksnuancen, verdichtet sie oder verändert die Primärmerkmale hin zu völlig neuen aber immer noch spezifischen Geschmackserlebnissen, wie „3 Monate gereifter Salzsellerie“, den er mit Rinderfett und gerösteter Selleriesaat als „Apero“ serviert. Oder: bei „Sellerie, reif und jung“: Dieses Gericht besteht aus legierter Hühnersuppe, gedämpften Selleriescheiben, gerösteter Selleriesaat und als Tüpfelchen auf dem i frisch gehobeltem, 12 Monate im Salzteig gereiften Sellerie. Noch nicht genug? Wie wäre es mit „Minz-Melanzani mit Vinaigrette von verkohltem Sellerie und geeister Petersilie“. Wie ein Roter Faden ziehen sich solche „Besonderheiten“ durch dieses Buch. Umfassen Gemüse Fleisch und Fisch. Für Laien kaum vorstellbare Kombinationen von Produkten und Geschmakcnuancen, werden hier zur Selbstverständlichkeit. Wir machen Bekanntschaft mit einem Gemüsesekt, einer „Sardellen-Mandelpaste“, mit „Gelbe Bete mit Rauchschmalzglasur und geröstetem Mohn“ oder „Fritierten Pilzen mit Kalbsnierenfettschaum und Schinken-Karamell-Sud“. Das Schöne daran ist, es wird nicht einfach so hingestellt sondern auch ausführlich und nachvollziehbar erklärt.
Magics
Dies gilt auch für die selbst hergestellten „Magics“, die Frank wie folgt beschreibt. „Die Magics verleihen einer Speise die Basis, die Breite, den Körper und sind dafür verantwortlich, dass der Geschmack nicht unvermittelt abstürzt sondern wie ein Schweif nachhallt.“ So gibt es denn auch die Magics in den verschiedensten Geschmacksrichtungen wie „Hühnermagic, Zitronenmagic oder auch Gemüsemaggi. Sie sind etwa vergleichbar mit selbst hergestelltem Fonds bei denen die Aromen gebündelt und durch Reduktion intensiviert werden. Sie werden dann als Vorrat gehalten und als Würze für spezifische Gerichte verwendet.
Zwiebel, Knoblauch, Wurzelgemüse
Auch bei seinen Gerichten, die Zwiebeln und Knoblauch beinhalten kann Frank seine österreichischen Wurzeln nicht verleugnen, deren Zubereitung noch bis in die alte KuK Monarchie zurückreichen aber durch ihn einen ganz neuen Anstrich bekommen wie z. B. Bei „ Gedörrten Champignons mit Schwarzwurzeln und Röstzwiebelgewürz“, oder „Kalte Kartoffel-Knoblauch-Suppe mit Butterbrot und Wacholdersahne“. Wer es noch außergewöhnlicher mag, probiere einmal „ Gemüsetriebe mit Kürbiskernen, Wurzelgemüse und Gemüsemilch“.
Akribie und Leidenschaft
Bei all dem zeigt sich, wieviel Akribie, Leidenschaft und Arbeit dahintersteckt, wieviel an Vorbereitungszeit und Innovationsfreudigkeit. Gleichzeitig aber auch, wie wichtig hierbei Teamarbeit ist. All dies wird auch in diesem Buch deutlich. So sind alle „Gerichte“ bis ins Kleinste dokumentiert und allgemeinverständlich abgefasst. Da bei Frank oft mehrere Protagonisten auf einem Teller zu finden sind, die jeweils einer eigenen Zubereitung bedürfen, sind viele Schritte zur Fertigstellung der Gerichte vonnöten. Jeder Schritt wird ausführlich erklärt. In der Regel auf einer Seite. Das fertige Gericht ist dann auf einem ganzseitigen Foto abgebildet.
Öle, Pilze und Körner
Wenn auch der Anteil an außergewöhnlichen Rezepturen deutlich in der Mehrzahl ist, findet man auch Speisen die zumindest vordergründig „einfacher“ sind wie: „Kartoffelnudeln mit Rahmsauce und Zander“ oder „Selch-Schneenockerl mit Birnencreme und Sellerie“. Ein größeres Kapitel widmet sich den Ölen. So verwendet Frank die verschiedensten Öle wie Nuss- Leindotter-, Marillenkern, Senf oder Distelöl und verzichtet vollkommen auf Olivenöl oder exotische Öle, da diese nach seiner Meinung nicht zu seiner Stilistik passen.
Auch Pilze haben in der Küche Franks einen hohen Stellenwert. So sind denn auch 5 spezifische Gerichte in diesem Buch zu finden von denen ein „Pilzhaschee mit Gemüsebechamel und grünem Salat“ als Beispiel dienen soll. Alles aus Korn und Co findet auf 20 Seiten Platz. So finden sich in diesem Kapitel Speisen die schon vom Namen her Mundwasser erzeugen „ Gedämpftes Grießtascherl mit kaltem Bergkäseschaum“ oder „Rehkeule mit Gerstensauer, Keimlingen und geflämmter Gersten-Honig-Creme“.
Völlig neue Aspekte beleuchtet das Kapitel „Vergorenes, Fermentiertes und Asche“. Kein Mittel zum Zweck, sondern ein stetes Hinterfragen, welche Technik zu optimalen Ergebnissen im Bereich Zubereitung von Speisen führt und ob selbige zu einen schmeckbaren Mehrwert führt. Dies ist die Voraussetzung für den Einsatz solcher Techniken, die dann zu folgenden Kombinationen führen. „ Falsches Marzipan vom Kürbis mit Kalbsnierengrammeln, Fichtenessigmarmelade und Gemüseasche“.
Beim Thema „Fleisch und Blut“ interessiert sich Frank weniger für Steaks und Filets sondern eher für Bauch, Schulter, Kopf und Haxe. Diese Vorstellungen manifestieren sich in einer, sicherlich in der deutschen Küche einmaligen „Schweineblutpraline“ oder einer Kalbsleber mit Reis- eine kleine Zukunftsmusik“
Getränke
Den „krönenden“ Abschluss dieser schmeckbaren Extravaganzen bilden die alkoholfreien Getränke wie, „Zwiebelsaft mit Schmalz“, „Gemüsesaft mit Röstgemüseöl“, Gemüsebier oder „Seitlingswasser und Hühnersuppe“. All diese Getränke werden zu Speisen gereicht in denen sich auch die Aromen des Getränks wiederfinden. Also auch hier spielt das harmonische Zusammenspiel eine große Rolle. Mit diesem Kapitel schließt auch der Bereich Rezepturen. Ihm folgt eine kurze Story über die Geschichte des „Horvath“. Den Abschluss des Buches bildet neben ein paar Dankesworten und einem Register eine zweiseitige Doku mit dem Lebenslauf und der Karriere von Sebastian Frank.
Fazit:
Ich weiß nicht, wie viele Kochbücher ich schon rezensiert habe. Aber dies gehört sicherlich in die Rubrik „außergewöhnlich“. Für diejenigen deren Essgewohnheiten eher „gut bürgerlich“ sind, ohne dies jetzt abzuwerten, werden an diesem Buch keine Freude haben. Auch für die „all you can eat“ Fraktion ist es eher nicht geeignet. Für diejenigen aber, für die Essen nicht bloße Nahrungsaufnahme ist sondern Genuss und Lebensqualität, für die, die nicht der These huldigen: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“, werden sicherlich an diesen extravaganten Kreationen Gefallen finden. Wenn es auch „einfachen“ Hobbyköchen/innen schwerfallen dürfte die Speisen nachzukochen, so kann man sich doch zumindest ein paar Anregungen holen. Wenn es überhaupt ein kleines Wermutströpfchen gibt ist es folgendes. Ein paar Begriffe wie IsI Boy, Pacojet oder Gewürznamen wie Kappa oder Iote sind sicherlich nicht jedem geläufig und hätten einer kleinen Erläuterung bedurft. Aber wozu ist das Internet da? Mir hat dieses Buch viel Spaß gemacht, hat es mir doch Türen zu neuen Geschmackswelten geöffnet und Einblicke in eine ganz eigenwillige Küchenphilosophie gegeben. Daher, absolut empfehlenswert! Horst Kröber
Sebastian Frank
KUK
Matthaes Verlag
ISBN 978-3-87515-432-0
79,90 €