Jens Priewe: Wein, die große Schule; neu überarbeitete Auflage
auf über 300 Seiten das Mysterium Wein entschlüsselt
https://www.bonvinitas.com/media/reviews/photos/thumbnail/780x560c/d6/47/0f/jens-priewe-wein-die-grosse-schule-neu-ueberarbeitete-auflage-87-1519060940.jpgWer denkt bei dem Begriff „große Schule“ nicht zwangsläufig an erhobenen Zeigefinger, Besserwisser, Lernstress. Aber so ist es nicht, obwohl ein paar „Besserwissermomente“ vorkommen, auf die ich im Verlaufe meiner Rezension noch eingehen werde.
Tolle Aufmachung , wunderbare Bilder
An erster Stelle ist die Aufmachung des Buches zu loben. Die Anschaulichkeit und Qualität der Bilder, egal ob Landschaften, Porträts oder Dokus sind klasse und tragen wesentlich zur Qualität des Buches bei. Besonders gut haben mir die Landkarten im Kapitel „Die Weinländer der Welt“ gefallen. Verschaffen diese doch dem Leser einen wichtigen Überblick über die betreffende Region. Auch die Gliederung des Buches ist zu loben. Sie macht das Nachschlagen zu bestimmten Themen leicht.
Fragen über Fragen
Den Einstieg zu diesem Werk wagt Priewe mit einem 20 Punkte umfassenden Fragenkatalog mit den, wie er meint, am häufigsten gestellten Fragen zum Wein. Mit einigen seiner Fragen hatte ich jedoch Schwierigkeiten.
Frage 8 lautet: "Gibt es gute Weine beim Discounter?"
Antwort: "Gibt s immer wieder mal. Aber meistens tragen die „guten“ Weine nur einen berühmten Namen, sind aber von mieser Qualität." Was will uns der Autor damit sagen?
Noch verwirrender wird es bei der Frage: „ Wie muss ein guter Wein schmecken?“
Antwort: "Wein muss nicht schmecken, er muss authentisch sein ..." Das heißt im Umkehrschluss nichts anderes, als authentische Weine schmecken nicht. Aber was nützt es einem Erzeuger, wenn er authentische Weine produziert, sie aber nicht verkaufen kann, weil sie nicht schmecken. Was soll also diese Aussage?
Weingenuss und Weinverstand
Bildhaft und gut verständlich hingegen behandelt Priewe das Thema „Wein genießen“ und „Wein verstehen“. Hierbei werden Fragen nach Trinktemperatur, Glaswahl, Weinfehler, Flaschenverschlüsse und Lagerung genauso abgehandelt wie das weite Gebiet der Sensorik. Nur bei „Wein und Speisen“ hatte ich bei seiner Zuordnung doch einige Zweifel. Seine pauschalen Behauptungen: „Alle tanninarmen Rotweine eignen sich zu Fisch“, oder sein Vorschlag, „fruchtsüße Riesling zu Schmorbraten“, halte ich zumindest für fragwürdig.
Weinberg und Rebe, Fleiß und Arbeit
100 Punkte möchte ich an das Kapitel „Die Weinrebe“ vergeben. Hier beleuchtet Priewe die Geschichte des Weinbaus, in der Perser, Römer, Klöster entscheidenden Einfluss genommen haben. Weiterhin erfährt der Leser etwas über die Reblauskatastrophe, Mesoklima und Klimawandel, die Phänologie der Rebe, ihre Stärken und Schwächen. Pluspunkte auch für das Kapitel “Arbeiten im Weinberg“! Der Streifzug durch ein Arbeitsjahr des Winzers verdeutlicht, wie lange es dauert, und wieviel Arbeit dahintersteckt, bis der Wein im Glas ist. Vom Rebschnitt bis zur Weinlese wird der Leser über alle relevanten Möglichkeiten, die letztlich zu einem qualitativ hochwertigen Wein führen, informiert. Ob Ertragsreduzierung, Ausdünnen, Erziehungsarten, Bodenpflege, Pflanzenschutz, Rebklone etc. oder Priewes Ausführungen über Lesezeitpunkte, Reifestufen und Säurermanagement sind sehr informativ und nachvollziehbar. Eine Bemerkung sei mir jedoch als „Moselaner“ erlaubt: Bei der Erwähnung der Erziehungsarten fehlt die Einzelstockerziehung, welche auch heute noch in den meisten extremen Terrassenlagen von Rhein und Mosel gang und gäbe ist.
Vielfalt der Rebsorten und von der Rebe zum fertigen Wein
Ebenso positiv erwähnen möchte ich das große Kapitel der Rebsorten in dem die gängigsten aufgelistet und kurz beschrieben werden. Den wichtigsten Rebsorten weltweit hat man dabei verständlicherweise etwas mehr Platz eingeräumt.
Beim Thema Weinbereitung ist mir die Einstiegsbemerkung Priewes besonders sauer aufgestoßen. Dort behauptet er: „Wein kann nie besser sein als die Trauben, aus denen er gewonnen wird. Doch gelingt es Kellermeistern immer wieder, aus guten Trauben schlechte Weine zu machen. Dabei wäre es andersrum nicht schwer, man muss nur ein paar Details beachten.“. Diese Behauptung halte ich gelinde gesagt für anmaßend und besserwisserisch, stellt sie doch in ihrer Pauschalität die Kellermeister in ihrer Gesamtheit unverdientermaßen in den Senkel. Das ist total daneben. Auch eine weitere Bemerkungen wie: „Aus reifem Lesegut entsteht nur dann ein hochwertiger Wein, wenn der Kellermeister die Trauben vorsichtig, schonend, schnell und mit Köpfchen verarbeitet. Schwer ist das nicht. Trotzdem gelingt es nicht allen“. Hier möchte ich einmal eine Lanze für alle Kellermeister/innen brechen. Niemals vorher war die Ausbildung in diesem Beruf so gut, und niemals haben junge Vertreter dieses Berufsstandes sich qualifizierter um das Produkt Wein bemüht als heute. Dies belegt der Stellenwert, den der deutsche Wein mittlerweile weltweit genießt. Von diesem, wie ich finde Fauxpas, abgesehen, ist das Kapitel Weinbereitung mit all seinen Facetten gut recherchiert und überaus informativ und verständlich behandelt. Dabei lässt er auch die verbrauchertäuschenden Methoden, wie die Zugabe von Holzchips oder der Stave Technologie, genauso wenig außen vor, wie die Nischenprodukte Natural- oder Orange Wines. Spaß gemacht haben mir auch die Kapitel über Sekt, Portwein und Sherry. Kurz und bündig und doch versehen mit Allem, was wichtig ist.
Alle Weinbauländer dieser Welt
Fast die Hälfte seines Buches widmet Priewe dann den Weinbauländern. Dieser Teil hat mir auch mit am besten gefallen. Priewe hat hierbei nicht nur die Weinbauländer, wie Frankreich, Italien, Deutschland etc. in ihrer Gänze behandelt, sondern hilfreiche Unterteilungen vorgenommen und somit die regionalen Besonderheiten eines Gebietes herausgearbeitet. Alles sehr gut recherchiert, flüssig und sachlich abgefasst! Obwohl ich, was das Kapitel Deutschland als Weinbaugebiet betrifft, ein paar seiner Aussagen hinterfragen möchte:
1. Vom Rheingau geht immer noch der größte Glanz des deutschen Weines aus.
Das war vielleicht in den 60er und 70er Jahren so, ist aber heute sicherlich so nicht mehr haltbar.
2. Die traditionell besten Rieslinglagen befinden sich an der Mittelmosel zwischen Ürzig und Leiwen. Sicherlich zumindest gleichwertig sind die Lagen Uhlen und Röttgen, in Winningen an der Terrassenmosel, dem größten zusammenhängenden Terrassenanbaugebiet Deutschlands.
3. Außerdem hätte ich mir für das Gebiet Mosel ein aussagekräftigeres Bild gewünscht und keines, in dem die Terrassenlandschaft, für die dieses Gebiet bekannt und berühmt ist, überhaupt nicht zu sehen ist, obwohl es dort unter anderem mit dem „Bremmer Calmont“ den steilsten Weinberg Europas gibt.
Fazit: Ein überaus lesenswertes Buch
Eine tolle Leistung auf über 300 Seiten das Mysterium Wein zu entschlüsseln. Verständlicherweise kann dies nicht bei allen Themen in die Tiefe gehen. Aber Priewe ist es gelungen, das Wichtigste aufzuzeigen und sachlich und fachlich fundiert dem Leser nahezubringen. Aber immer dann, wenn der Autor die notwendige, gebotene Neutralität verlässt und zu eigenen Erkenntnissen kommt, schleichen sich kleine Ungereimtheiten ein. Diese wenigen Kritikpunkte kratzen jedoch nicht erheblich am Gesamteindruck. Perfektion wäre ja auch langweilig. Deshalb sind diesem Buch verdientermaßen viele Leser zu wünschen. Horst Kröber
Jens Priewe
WEIN, DIE GROSSE SCHULE
völlig neu überarbeitet
ZS Verlag 2017
gebunden, 320 Seiten
ISBN 978-389883-716-3
29,80 Euro
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